krakau
13.10.05
  Der Dreizehnte
Nachmittags fängt es an zu regnen. Leichtes Nieseln. Bedeckt dann die ganze Nacht.

Am Abend im Kino Ars, im Reduta-Saal. Dies ist der einzige Kinosaal in Polen (oder auf der ganzen Welt?), in dem weder gegessen noch getrunken werden darf. „Schau dir den Film in Ruhe an” – so wirbt das Kino mit diesem einen Saal. Das heißt: ohne Popcornkauen, ohne Bierrülpser, ohne Flaschenklirren.
In solcher Ruhe verlief die Veranstaltung unter dem Titel „Mein Konwicki: Inspiration und Interpretation.” Erstklassige Gesprächspartner. Gießen sich gegenseitig klares Wasser aus einer Karaffe ein. Sie dürfen. Denn sie müssen reden. Ins Mikrophon. Wajda. Lubelski. Trzaskalski. Und der Direktor. Des Kinos? Eher des Buchinstituts, das diese, sowie andere Veranstaltung organisiert. Konwicki ist nicht da.
„Aus gesundheitlichen Gründen”, erklärte der Mann, den der Chairman mit „Herrn Direktor” anspricht.
Vielleicht stimmt das sogar. Gestern sprach ich mit meinem Meister. Er schien, für sein Alter, ganz gesund. Aber jeder weiß, dass er abergläubisch ist. Und an einem Dreizehnten nie im Leben in einen Zug steigt.

„Mein Konwicki” – das ist meine Erfindung. Das ist der Titel meines Buches. So wie „Zwierzoczłekoupiór” (der Erfinderhund) die Erfindung Konwickis ist. Und gleichzeitig der Titel seines Romans ist. Und so weiter. Jeder von uns besitzt etwas. Und trägt es bei. Zum populärwissenschaftlichen geistigen Eigentum.

Das Gespräch verläuft ausgesprochen freundlich, soweit es meinen Meister betrifft. Wajda stellt gleich zu Beginn klar, dass Konwicki durch nichts ersetzt werden könne. Durch keinem Stellvertreter. Mit keiner Anekdote. Keinem einzigen Scherz. Keiner noch so langen Aufzählung all seiner Verdienste. Er ist nicht da, und das ist schade! Denn er fehlt uns hier. Dann gesteht er, später, spontan, im Laufe des Gesprächs, ein, dass sich immer alle vor ihm gefürchtet hätten. Und immer noch fürchten. Fügt er nach kurzem Schweigen hinzu. Und ich fühle mich plötzlich unter meinesgleichen.

Während der Pause gelingt es mir, Herrn Wajdas Hand zu drücken. Und ihm zu danken für die feinfühligen Worte. Und mich vorzustellen als Autorin des Buches, das ich die ganze Zeit in der Hand halte. „Mein Konwicki”.
„Mein Konwicki?” wundert er sich. „Dieses Buch kenne ich ja gar nicht.”
Vielleicht stimmt das sogar. Ich weiß, dass die Auflage vergriffen ist. Und dies ist mein persönliches Exemplar, das ich nicht einmal Ihnen schenken kann. Leider.

Dann verschwinden die Gesprächspartner im Dunkel. Und über die Leinwand läuft „Der letzte Sommertag“, schwarz-weiß, asketisch, 1958 an der Ostsee gedreht. Irena Laskowska, die Hauptdarstellerin, traf ich zufällig im Mai in Warschau. Dank der Einladung von Krystyna H. Zu einem exzellenten Brunch im Hotel Polonia. Sie schämte sich sehr, als ich ihr erzählte, dass ich sie aus dem “Letzten Sommertag“ kenne. Mit beiden Händen bedeckte sie ihr Gesicht.

Die Stadt ist ganz nass. Mein letzter Bus fährt an Werktagen um 22:40 Uhr vom Matejko-Platz los.
 
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