krakau
10.10.05
  Die Sprache
Montag – und in Japan Feiertag. Bei uns auch. Aber wo ist das? Bei uns? Der allerliebste rundliche Berliner wacht in Stralsund auf, während ich mich in Gorlice bereits auf einen der letzten Sitzplätze im Privatbus quetsche, der uns fürsorglich nach Krakau bringen wird. Um 11 Uhr sitze ich an meinem Computer am Schreibtisch unter dem Dach. Wenige Minuten später klingelt mein Zimmertelefon. Wir feiern 142 Monate Ehe, d.h. wie gehabt 142 Monde. Am Abend hängt über dem Krakauer Marktplatz der Halbmond. Einen ganz kurzen Augenblick nur zeigt er sich, während ich an der Ecke der Schuhmacherstraße auf A. warte.

Der japanische Abreißkalender ist mit mir nach Krakau gekommen. Der Kalender für nur einen Tag. Für jeweils den heutigen. Die Zeit fällt von ihm ab, wie die bunten Blätter von den Bäumen im Park. Jeden Tag befreie ich ihn vom gestrigen, dünnen, durchsichtigen, schmalgesichtigen Papierchen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Das heutige Kalenderblatt zeigt eine rote Zehn. Also Montag, der Zehnte des laufenden Monats – und Feiertag. In Japan.

Die Sprache hat bereits gewonnen. Ich schreibe, denke, spreche, schweige, schlafe polnisch. Und übersetze ins Deutsche. Alles. Träume. Staunen. Ungeschickte Sätze. In Kwiatonowice rechte ich flüsterndes Laub unter dem alten Kastanienbaum zusammen. Auch er ließ seine unhaltbar gewordenen Früchte auf meinen Kopf platzen. Aus Trotz sammelte ich sie ein, einen ganzen Korb voll, schüttete sie in meinen Rucksatz. Und trug sie in mein Zimmer unter dem Dach. Brachte sie meiner Engelin und Wasserspenderin als Opfer dar.

Ich verstehe, zum Beispiel, nicht die grammatische Logik in folgendem Satz: „Badacze stosujący metodę biograficzną zwracają uwagę, że dzienniki osobiste są materiałem trudnym do pozyskania.” (wörtlich und unschön: Die biographische Methode anwendenden Forscher weisen darauf hin, dass persönliche Tagebücher schwer zu beschaffende Untersuchungsmaterialien sind.). Das Problem besteht nur in den beiden ersten Wörtern des polnischen Satzes. „Badacze” (Forscher) ist in meinem Grammatikverständnis ein Substantiv im Plural, „stosujący” (anwendend) hingegen eine Verbform (oder eine Adjektivform, weiß der Teufel, hier liegt wahrscheinlich der Hund begraben) im Singular. Mein höchstpersönliches Montagsrätsel: Warum ist das so?

Ich bat Kasper – wen sonst hätte ich in diesem Land bitten können? – mir einen Polnischlehrer oder eine Polnischlehrerin zu besorgen.
 
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