krakau
26.10.05
  Die Welt in schwarz und in weiß

Wir führen ein Pinguinleben. Im Rhythmus regelmäßiger Trennungen. W. kam angeflogen. Und ist schon wieder weggeflogen. Er kann, wie gesagt, im Gegensatz zu fluguntauglichen Vögeln problemlos fliegen. Mich hingegen quält der erste herbstliche Schnupfen. Und ich verstehe gewisse Präfixe im Polnischen nicht. Warum beispielsweise „gelandet“ und „gestartet“ auf den Anzeigetafeln (und überall sonst, wo Schrift existiert) mit der gleichen Vorsilbe „wy" gebildet werden („wystartował”, „wylądował”). Aber jetzt sehe ich, dass das im Deutschen genauso ist. Obwohl es auch hier für ankommen, anreisen, Einreise usw. andere Vorsilben gibt. Wie auch immer. W. ist in einer orangefarbenen easy-jet-Maschine „gestartet” und hat mir so seinen schwarzen Rücken zugekehrt. Und wie bei den Kaiserpinguinen dauert es zwei Monate, bis wir uns wieder sehen. Und er mir mit seinem weißen Bauch entgegenkommt.

Vom Flughafen fahre ich direkt zu meiner zweiten Polnischstunde. Hier werden die grauen Zellen aufgefrischt. Und das Hirn bekommt Nahrung. Die weiße Seite der Welt.

Danach direkt nach Kazimierz. Der Himmel glüht im Westen. Zur literarischen Namenstagsperformance zweier Nazar. Des einen Nazar, der bei uns in der Villa wohnt. Und eines anderen. Pinguinleben. Die Bar ist schwarz wie die Nacht. Die Sprachen wirbeln in Pfeifenrauchschwaden wie die Engel auf biblischen Wölkchen. Ukrainisch. Russisch. Polnisch. Deutsch. Englisch. Am besten gefällt mir die poetische Phrase unseres Nazar, die er in allen verfügbaren Sprachen vorträgt: „Gott ist ein unbestimmtes Fürwort.”

Und deshalb müssen sich Pinguine unter solch widrigen Umständen lieben, begatten und ernähren.
 
Comments: Kommentar veröffentlichen

<< Home

ARCHIVES
Oktober 2005 / November 2005 / Dezember 2005 / Januar 2006 / Februar 2006 / März 2006 /


Powered by Blogger