krakau
18.10.05
  Nach dem Vollmond
Seit gestern lese ich im Bus. Das heißt, ich bin nicht mehr immer auf der Hut. Wie ein verwundetes Tier.
Seit heute steige ich um. Unbekümmert. Vom Bus in die Straßenbahn. Oder nehme an der Haltestelle „Sielanka” [Das (Dorf-)Idyll] den leeren 134 (er brachte die erste Fuhre Kinder in den Zoologischen Garten und holt jetzt neue Passagiere aus der Stadt). Mutig. Statt auf den überfüllten 192 vom Flughafen zu warten.

Gestern lärmte der Gärtner mit seinem an den schweren Rucksack montierten Schlauch erbärmlich. Den lieben langen Tag. Pustete er rund um die Villa alle Blumenbeete, Rosenrabatte, Gehwege, Fahrwege, Parkplätze und Rasenflächen frei von dem Ballast, den die müden Buchen übers Wochenende abgeworfen hatten. Und da es die letzten Nächte nieselte, ging ihm das nicht mehr so einfach von der Hand. Feuchtigkeit. Fäule. Nässe. Schwere. Er schleppte tatsächlich den entsetzlich röhrenden Motor auf dem Rücken herum. Von früh bis spät. Ich wollte sichergehen. Und schlich ihm nach. Er bemerkte mich nicht. Er hörte nichts. Weder hupende Autos noch tapsende Bären. Auf seinen Ohren lagen Schoner. Dicke. Goldgelbe, Wie riesige Sonnenblumen. Zu beiden Seiten des Kopfes.
Heute ist es totenstill. Ich sitze mit Nazar, dem Dichterperformer aus Lemberg, in der Küche. Er trinkt Kaffee. Ich Kräutertee.
„Der Gärtner hat heute wohl frei”, sage ich. Um irgendetwas zu sagen.
„Nein”, widerspricht Nazar. Entschieden. „Er arbeitet. Ich beobachte ihn von meinem Zimmer aus. Er hat alle faulen Blätter auf einen großen Haufen geblasen. Jetzt zieht er sie auf eine kilometerlange Nylonschnur auf. Die spannt er durch alle Bäume im Park. Hängt Blätter auf wie wir tropfende Wäsche. An die Sonne. Zum Trocknen.“

Gestern Nachmittag im Kino Ars „Lawa”. Mit etwa fünf anderen Verlorenen Seelen. Der Film hat mich sehr angestrengt. Auch der Vollmond. Und meine Tage. Das ist mir wieder einmal wunderbar gelungen. Das erste Kopfweh in Krakau. Lawa ist der letzte Film, den Konwicki gemacht hat. Regie geführt. Drehbuch geschrieben. Gustaw Holoubek spielt den alten Visionär und Dichter (denselben, der momentan auf dem Krakauer Marktplatz so einsam ist), der nach Litauen zurückkehrt. Wie jung der Schauspieler in dieser Rolle aussieht.
Heute denke ich den ganzen Tag darüber nach, warum der letzte Film von Konwicki (Lawa) so gänzlich anders ist – eine ganz andere Art von künstlerischem Resümee sozusagen – als das letzte Buch von Konwicki (Pamflet na siebie – Pamphlet über mich selbst). Und warum denke ich darüber nach? Es gibt hier ganz und gar nichts zu vergleichen. Was hat das zu bedeuten?
 
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