krakau
30.11.05
  Martin Teil 3
Heute ist Andreasnacht. Und ich bin allein mit Martin. Zurückgeblieben. In der Villa. Alle anderen sind weggefahren. Und in der Küche zwei volle Kühlschränke und ein volles Vorratsregal. Mit Unaufgegessenem.

Wir warfen alles weg. Ungeachtet des Haltbarkeitsdatums. Wieviel Śmietana. Wieviel süße Butter. Wieviel Sonnenblumenhonig. Am meisten wunderten mich Unmengen von Senfflaschen, Senfgläsern und eingelegten Senfkörnern. Wovon ernähren sich Stipendiaten aus aller Welt in Krakau? Offenbar hauptsächlich – aber ich habe keine Ahnung weshalb und wozu – aus geschwungenen, großen und kleinen „S“.

Wir warfen alles weg. Ohne Rücksicht auf Anfangsbuchstaben. Ohne Rücksicht auf Zunge und Sprache. Ohne Rücksicht auf Geschmack. Ohne Rücksicht auf Farbe. Ohne Rücksicht auf Verpackung. Ohne Rücksicht auf Inhalt. Ohne Rücksicht auf den Grad der Verschimmelung.
„Am besten gar nicht erst angucken“, riet Martin sachlich.
Und lief in sein Zimmer hinauf, holte leere Plastiktüten. Dann lief er nochmals hoch, weil wir einen Kugelschreiber brauchten. Manchmal will der Mensch etwas aufschreiben. Ungeachtet aller Widrigkeiten. Oben auf dem Schrank lag das verstaubte Notizbuch von Herrn András Rácz aus Budapest.

Heute ist Andreasnacht. Und Martin und ich sind allein zurückgeblieben. Wir bewohnen die mittleren Ostzimmer des Łaskihauses. Er im ersten Stock. Ich mit der Engelin im zweiten. Unter dem Dach.
 
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