krakau
16.11.05
  Ukrainischer Barszcz
Ich bin zurückgekehrt. Zu Fuß. Von der Bushaltestelle an der Kreuzung Kastanienallee / Lärchenallee. Durch das letzte holperige Stück der Kastanienallee. Bevor sie vor dem Łaski-Haus endet. Dort, wo mein Zimmer unter dem Dach ist. Hier hat man den Eindruck, man sei irgendwo auf dem Dorf (und nicht in einem der besten Quartiere Krakaus). Aufgerissener Straßenbelag. Von Unkraut überwachsene schiefe Gehwege. Ich gehe mitten auf der Strasse. Zur rechten Seite wird ein neues Haus gebaut. Danach kommt die Wiese. Das Pferdegestüt. Und ich habe den Eindruck, in den letzten Tagen die ganze Welt umrundet zu haben. Die ganze Erdkugel auf dem Rücken zu tragen. Nach Hause. Wie meine Engelin. Die Flügel.

Es ist noch nicht drei Uhr nachmittags und ich möchte nur noch schlafen. In der Küche kocht ukrainischer Barszcz. In einem riesigen Topf. Die lange Tafel ist schon gedeckt. Was ist hier los? Nazar mit neuer Frisur. Sieht noch edler aus. Lädt mich ein. Zum Essen mit allen um fünf. Ich bin eben erst zurückgekommen. Sage ich. Überflüssigerweise.

Auf dem Kühlschrank in der Küche liegt ein Brief für mich. Aus der Schweiz. Die Todesanzeige von Beat M. Adressiert von meiner Freundin, seiner ersten Frau und Mutter seiner Kinder. Die Welt drückt auf meine Schultern. Niemand konnte damals, als sie sich aus heiterem Himmel trennten, weil Beat eine neue Partnerin hatte, was auch keiner begriff, niemand konnte damals wissen oder ahnen, dass Beat schnell leben muss. Im Trab. Galopp. Zweispurig. Um Schritt zu halten. Womit, weiß bis heute keiner von uns. Aber jetzt verstehen wir, dass ihm wenig Zeit vergönnt war. Er starb an Allerseelen an Herzversagen – mit 47 Jahren.

Im Zimmer unter dem Dach zieht mir der Laptop 72 neue emails aus dem Netz. W. ist glücklich in Guangzhou angekommen. Berichtet, dass er ein kurzärmeliges Hemd trage. Tagestemperatur durchschnittlich bei 24 Grad. Ich antworte, dass ich vor fünf anrufe. Weil wir uns um fünf in der Küche zum ukrainischen Barszcz versammeln.
 
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