krakau
2.11.05
  Winterzeit
Die Winterzeit hat nichts mit dem Winter zu tun. Sondern gilt gemeinhin als Normalzeit. Das wird heutzutage leicht vergessen.

Die Sommerzeit hat infolgedessen nichts mit dem Sommer zu tun. Und muss logischerweise als Nichtnormalzeit verstanden werden. Als Unzeit.
Dazwischen, zwischen der Normalzeit und der Unzeit liegt die sogenannte Zeitumstellung. Sie liegt. Steht. Ruht. Klappt auf. Oder zu. Rennt rückwärts. Hastet vorwärts. Springt im Kreis. Oder im Quadrat. Je nach Design. Zeitgeist. Oder persönlicher Vorliebe. In der Küche über dem Tisch hängt üblicherweise eine kreisrunde Uhr. Darüber wurde schon fast so viel sinniert wie über die Erbsünde.
Die Zeit hängt in der Küche und die Umstellung gehört dem Pfarrer. Seit am Sonntag die Zeit wieder in die Normalität eingetreten ist, und nicht in den Winter, beten die Menschen in diesem Land. Und meiner bemächtigt sich jeweils gegen 19 Uhr eine unwiderstehliche Müdigkeit. Ich lege mich dann für ein kurzes Stündchen hin und die Zeit wird ein aktiver Bestandteil meines Schlafes. Das muss mit Krakau zu tun haben, denn in Krakau, erzählte mir Herr Krakowski vorhin, ich war gerade wieder aufgewacht, geschehen die absonderlichsten Dinge.
Die Statistiken hingegen besagen, dass es am Montag nach der Zeitumstellung zu mehr Unfällen auf der Straße kommt als an jedem anderen Montag des Jahres. Deswegen haben die Brandenburger nun auf diesen Montag einen Feiertag gelegt. Und die Polen auf den Dienstag nach dem Montag nach dem Sonntag. So dass weder am Sonntag, noch am Montag, noch am Dienstag, noch am Mittwoch auf Zeit gearbeitet werden muss. Und sich niemand der Gefahr aussetzt, von einer planmäßig überfüllten Straßenbahn überfahren zu werden.
Bären, habe ich gelesen, fressen sich vor der Winterruhe täglich bis zu einem halben Kilogramm zusätzliches Körpergewicht an. Der Winter ist dick und schläfrig. Die Zeit hat nichts mit dem Wetter zu tun. Die Zeit ist souverän und Körpertemperaturunabhängig.

In manche Texte schleichen sich ungeahnte Konturen. Wie in das raschelnde Laub im Park. Es liegt bereits knöcheltief. Im richtigen Winter, unter einer dicken Schneedecke, wird die Zeit endgültig nichts mehr verloren haben. Eisblumen sind keine Umlaute. Und nackte Äste keine Sekundenzeiger. Gestern war ich den ganzen Tag auf dem Friedhof und habe kein einziges Wort geschrieben.

zum Gedenken an Beat Mohler
 
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