krakau
28.12.05
  Bagua und Daruma

Wolfgang hat mir einen Geisterspiegel aus China mitgebracht, konkav, mit den acht Triagrammen rundherum – Bagua. Für mein Zimmer unter dem Dach.

Wolfgang hat uns aus Japan zwei Familienglücksdarumas mitgebracht. Im Duo-Pack. Einer ist rot, der andere weiß. Du kannst wählen. Bot er an. Großzügig wie immer. Und ich nehme, was übrig bleibt. Darumas haben zwei leere Augen, iris- und pupillenlos. Am Neujahrstag werden wir ein Auge ausmalen. Dies ist reines Futur eins. Wir werden einen schwarzen Punkt in die Mitte setzen, da uns Farben und Fähigkeiten für mehr fehlen. Wir werden dem einen leeren Auge den vollen Blick verleihen – und uns dabei etwas wünschen. Jeder für sich allein mit seinem Daruma. Ich mit dem weißen. Wolfgang mit dem roten. So wähle ich. Und ihm bleibt nichts anderes übrig. Die Welt ist ungerecht. Aber wenn unsere getrennten Wünsche, jeder für sich allein, in Erfüllung gegangen sein werden, werden wir das zweite Auge ausmalen müssen. Jeder an seinem Daruma. Dies ist reines Futur zwei. Einen schwarzen Punkt in die Mitte der Leere setzen. Dem toten Augenweiß den lebendigen Blick verleihen. Und den Pappmachékopf verbrennen. Jeder für sich allein.

Das Glück ist unaufhaltsam.

Der Geisterspiegel ist konkav. Das heißt, er hat eine nach innen gewölbte Linsenoberfläche und zieht die bösen Geister an wie ein klebriger Leimstreifen in Großmutters Bürner Küche die Fliegen im Hochsommer, und verglüht sie. Wäre der Spiegel konvex (auch solche gibt es zu kaufen in China), würde er das Böse auch anziehen und dann zerstreuen. Das hieße: gleichmäßig auf meine Nachbarn im Łaskihaus verteilen. Und all meine Martins rund um mich herum in ganz Krakau ins Unglück stürzen.

Das Unglück ist unaufhaltsam.

Wolfgang ist ein lebensfroher Mensch, wie kaum ein anderer. Deshalb hat er mir einen Geisterspiegel aus China mitgebracht, konkav, mit den acht Triagrammen rundherum – Bagua. Für mein Zimmer unter dem Dach. Für meine Nachbarn. Das Haus. Die Stadt. Und den Erdkreis.

Einen guten Rutsch und alles Gute im Neuen Jahr. Wir fahren morgen nach Danzig, zu Roma und Radek und Eva und Janusz. Meinen besten und ältesten Freunden in diesem Land. Ins Internet komme ich in diesem Jahr nicht mehr.
 
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