krakau
20.12.05
  Berlin. Engelbecken
Wie auf Knopfdruck springt die Sprache um. Auf Deutsch.
Um acht laufe ich um die Ecke zu meiner Hausärztin. Ich brauche meine dritte Tetanus-Spritze. Danach hätte ich für zehn Jahre Ruhe. Sagte sie vor einem Jahr. Und ermahnte mich, daran zu denken. Zeit wird immer relativer. Und die Gedanken immer klarer.
Wolfgang schläft ungefähr so lange, wie er im Flugzeug saß. Gestern. Oder vorgestern. Ich weiß nicht, woher die Zeit kommt.
Um zwölf laufe ich zum Lausitzer Platz zu meiner Friseuse. Ich will die Farbe auf meinem Kopf loswerden. Rote Reste noch aus Japan. Sie versteht nicht. Und ich mag nichts erklären.
Am Engelbecken wird gebaggert. Wie im ersten Winter. Wann war das? Nachdem wir in den Osten der Stadt gezogen waren. In den Schatten der Mauer. Die es damals schon nicht mehr gab. Zeit kennt keine Grenzen. Das Wasserbecken wird nun weiter ausgebaggert. Im Dezember. Das Ufer endlich (nach wie vielen Jahren?) ordentlich befestigt. Schotter aufgeschüttet. Schilf abgeschnitten. Die Schwäne sind weiß geworden und weggeflogen. Auch die Reiher haben das Weite gesucht. Der Winter kommt. Mit Riesenschritten. Der wievielte in diesem Jahr?
Um eins laufe ich zur Schönleinstrasse. Über das Kottbusser Tor. Wie durch einen riesigen Wartesaal. Eines Hauptbahnhofs. Im Niemandsland. Wo die Fahrtrichtungen aufgehoben wurden. Und das Zuhause abgeschafft.
Wolfgang fährt zu seinem Vater, der ihn nicht mehr erkennt.
Am Abend sitzen wir in unserer Küche und trinken Wein.
Der Erzengel auf dem Glockenturm der Ruine der Michaelskirche leuchtet nun in der Nacht. Irgendwoher fließt Geld. Über dem ehemaligen Todesstreifen wird die Zeit an den Himmel genagelt.
 
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