krakau
6.12.05
  Die zweite Engelin
Es regnet. Und meine Engelin mit der Gießkanne hat nichts zu tun. Sie wartet geduldig mit mir zusammen. Bis das Wetter sich ändert.

Nikolaus irrte sich in der Nacht in der Adresse. Er legte mein Päckchen bei Frau Krakowska ab. Frau Krakowska dachte sich gleich, dass das in Geschenkpapier eingewickelte Ding für mich sein musste. Aber Nikolaus war bereits über alle Berge. So benachrichtige sie mich per SMS, dass eine kleine hölzerne Engelin zu ihr geflogen kam. Mit leichten Flügeln. Wie ein Lilienthalgleiter. An ihren Bauch gebunden. Mit einem Zwirnfaden. Ein Päckchen. Schreibt Frau Krakowska. Für Dich.

Die Enkelin meines Schwiegervaters, die Tochter von Wolfgangs Bruder, die Tochter meiner Schwägerin – was genau ist sie nun für mich? – heißt Martina und ist am gleichen Tag geboren wie ich. Ein paar Jahre später natürlich. Mit diesen Worten könnte nun „Martin zum Fünften …“ beginnen. Aber hier gibt es nichts zu scherzen. Martina steht mit mir in Mobilfunkkontakt. Seit Schwiegervater Geburtstag hatte und ins Krankenhaus kam. Bin ich eine Informationsschaltzentrale. Sie ruft mich. An. Ich versuche Wolfgang. Zu erreichen. Mit ihm in Kontakt. Zu treten. Am anderen Ende der Welt. Über die Wellen des südchinesischen Meeres hinweg. Er überquerte heute das Perlflussdelta. Auf dem Weg nach Macao. Zu einer Konferenz. Was für ein Mensch! Martina ist in meinem polnischen Handy gespeichert als „Martina“. Wie sonst. Und jedesmal, wenn es klingelt und der kleine Bildschirm mir sagt „Martina ruft an – abnehmen JA oder NEIN?“ zögere ich einen kurzen, schweren Augenblick lang.

Ich habe eine zweite Engelin bekommen. Aus Holz. Leicht wie Schlaf. Jetzt warten wir geduldig. Zu dritt. Bis das Wetter sich ändert.
 
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