krakau
4.1.06
  Gelber Reis
Wir sind zurückgekehrt. Wie versprochen. Polka, Tango und ich. In das Zimmer unter dem Dach. Das Łaskihaus ist ausgestorben. Nur Martin der Jüngere ist noch da. Mein Nachbar hier oben, der seine eigene Matratze mitbrachte. Und hartnäckig versucht, sich das alte leere Haus zu unterwerfen. Mit Küchendünsten.

Wolfgang, mein dickbäuchiger Ehemann, ist zu seinen Studierenden zurückgekehrt. Ich speise also wieder in der Stadt. Wozu Zeit verlieren. Mit Zwiebelgeschnippel. Ich bin eine Frau im fortgeschrittenen Alter. Und leide an hormonell bedingten Stimmungsschwankungen. Kurz gesagt. Wolfgang hat es gut. Er braucht sich nicht in positivem Denken zu üben. Er hat es in sich. Von Kindesbeinen an.

Deshalb nehmen wir in unserem Eheleben nur gelben Reis zu uns. Solange es einen Kaiser in China gab, war die gelbe Farbe für ihn reserviert. Heute färbt mein Privatkoch fröhlich alles sonnenauf- oder -untergangsgelb. Mit Kurkuma, das er kiloweise bei den Türken in Kreuzberg kauft. Den thailändischen Duftreis, die italienischen Nudeln, die griechischen Krithiraki, die deutschen Kartoffeln. Aber auch Saucen, Suppen, Frischkäse. Und die weißen Küchenhandtücher. Die weißen Sonntagshemden. Und den Fußbodenbelag. Sowie verschiedene Kunststoffteile der Kücheneinrichtung. Mein Koch kocht nur mit frischen Zutaten. Und mit kreativer Hingabe. Absolut nicht leiden kann er in der Küche dumme Fragen der hungrigen Ehefrau. Denn er rührt. Und spritzt. Und wirbelt. Und wirbelt. Und wirbelt. Montags packt dann Pani E. die Verzweiflung. Die gelben Flecken gehen nie mehr aus.

Mein Koch ist übergewichtig und kam zu Weihnachten nach Krakau mit dem kleinsten Tütchen Kurkuma, das in Kreuzberg verkauft wird. Unverzüglich machte er sich an die Arbeit. In der Küche des Łaskihauses entdeckte er sofort Gelbwurzspuren. Einen gelben Reisrest. Von Martin dem Jüngeren. In einem Topf. Den jetzt er, mein Ehemann, brauchte.
„Wer mit Kurkuma kocht, kann kein schlechter Mensch sein”, verkündete er.
Niemand hat die Absicht, einen Martin der Schlechtigkeit zu bezichtigen.
Niemand hat die Absicht, eine Mauer in Berlin zu errichten.
Historische Aussagen. Ich glaube nicht mehr. Weder Wörtern, noch Versprechen, noch Sinnen. Den Gerüchen, die ich Tag für Tag aus dem Treppenhaus vertreibe, denn dort bleiben sie hängen, nachdem sie der Küche entflohen sind, ist die Farbe gelb fremd. Frische Zutaten kennen sie nicht. Glaubt man den Überbleibseln – der Menge von leergegessenen Gläsern und Dosen – dann ernährt sich Martin der Jüngere in Krakau wie auf einer alpinen Berghütte. Von Konserven. Und Notvorräten. Um zu überleben. Während eines harten Winters. Ich glaube nicht einmal an Kurkuma. Der gelbe Reisrest im Topf war eine Eintagsfliege.

Wir sind zurückgekehrt. Wie versprochen. Polka, Tango und ich. In das Zimmer unter dem Dach. Während ich die Treppen hochsteige, reiße ich instinktiv das Fenster auf. Mein Zimmer ist ein beschützter Raum. Eine dritte Engelin ist dazugekommen. Geschenk der Bibliotheksdirektorin aus Bochnia. Und zwei Engelkaffeebecher. Geschenk meiner Polnischlehrerin. Ich kann mich nicht beklagen. Alle bösen Geister sind verglüht. Mein Zimmer ist rein. Küchendunstfrei. Martinfrei. Gelbfrei. Das Kurkumapulver füllte ich in ein leeres Honigglas um. Es wartet in der Küche auf den Koch. Ich bin allein mit Polka und Tango. Ich habe einen zweiten Schreibtisch. Jetzt kann ich endlich arbeiten. Meine Papiere und Gedanken ausbreiten. Auf dem zweiten Schreibtisch steht der zweite Maitreya – der Buddha der Zukunft. Ewig lächelnd. Wie Wolfgang. Mit dickem Bauch. Wie Wolfgang. Mit einer Kalebasse. Wie Wolfgang. Falls er endlich zu seiner Posaune zurückfindet. Der Buddha der universalen Liebe. Ich kann mich wirklich nicht beklagen. Auf dem ersten Schreibtisch liegt mein Bernsteinklumpen. Geschenk, vor Jahren, von Pani A. Ich leide an hormonell bedingten Stimmungsschwankungen. Kurz gesagt.
 
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