krakau
1.1.06
  Neujahr in Danzig
Die Silvesternacht brachten wir in bester Laune hinter uns. Unter lautem Krachen. Bei unaufhörlichem Schneefall. Auf der höchsten Moräne über Danzig.

Ich weiß nicht mehr, wie oft ich schon davon berichtete. Wir alle sind älter geworden. Ich weiß nicht mehr, welch unsentimental schönen Wörter immer bereit standen. Heute ist es so, dass die fast erwachsenen Kinder meiner Freunde zu ihren Parties gehen und die Eltern in der sturmfreien Bude hocken bleiben. Der Sohn von Ewa und Janusz heißt Martin. Der nächste in der Kollektion. Früher war es umgekehrt. Aber ich weiß nicht mehr, in welch poetischer Verkürzung unsere lange Geschichte jeweils Platz fand. Mit einem Wort: Roma ist die erste Person, die ich in Polen kennenlernte. Und die ich bis heute kenne. Roma und ich kennen uns länger als Roma und Radek, als ich und Wolfgang, als Roma und Ewa usw. Wir kennen uns, mathematisch präzise ausgedrückt, auf den Tag genau sechsundzwanzig Jahre und fünf Monate. Wir begegneten uns zum ersten Mal am ersten August 1979 in Osiek an der Weichsel. Gegen Abend. Ich auf dem Fahrrad, mit einer Tagesetappe in den Waden. Roma im Urlaub, mit ein paar Englischkenntnissen im Kopf. Ich suchte ein Bett. Sie hatte Verwandte. Und das war’s.
Letztes Jahr (nein, vor anderthalb Jahren!) feierten wir unser silbernes Jubiläum in Darłowo. Mit unseren Fahrrädern (natürlich anderen als damals) und unseren Ehemännern.

Roma lebt, wenn sie nicht gerade im Urlaub ist, in Danzig. Damals in Osiek, nach dem Frühstück in der Küche ihrer Tante, schrieb sie mir ihre Danziger Adresse auf ein Stück Papier oder in mein Reisetagebuch (schon damals machte ich mir über alles und jedes Notizen). Ich weiß es nicht mehr (aber irgendwann lässt sich das in Berlin verifizieren). Und ich lebte damals, wenn ich nicht gerade auf dem Fahrrad saß, in Basel. Roma traf ich zum ersten Mal auf einer normal gepflasterten Straße am helvetischen Nationalfeiertag. Warum die Schweizer ausgerechnet an dem Tag feiern, an dem wir uns begegneten, weiß auch kein Mensch.

Und ich kann mich überhaupt nicht mehr daran erinnern, weshalb – bereits während meines Studiums in Warschau, ganz am Anfang, im Jahr 1983 – die Tradition ihren Anfang nahm, dass wir die Silvesternacht zusammen verbringen. Jeder weiß, was sich in der Zwischenzeit alles verändert hat. Aber wir, altmodische Traditionalistinnen, lieben unseren Trott. Und Trotz. Unsere Sucht. Und Suche. Zu Silvester fahre ich nach Danzig. Mal sehen, ob der Zug im Schnee stecken bleibt.

Ich weiß gar nichts mehr. Wir alle sind älter geworden. Wolfgang und ich gingen vor dem Frühstück an der Motława spazieren. Frohgemut. Die Silvesternacht lag hinter uns. Das Krachen. Die Schneeverwehungen. Auf der höchsten Moräne über Danzig.
 
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