krakau
29.1.06
  Pfusch am Bau
Ich übe mich in geometrischem Denken. In letzter Zeit träume ich konstruktivistisch. Andauernd irre ich in dunklen Untergeschossen herum. Am Tag und in der Nacht. Das Łaski-Haus in Krakau ist ausgestorben. Und wird noch längerer Zeit fast menschenleer in der Kälte stehen.

Wo gibt es das, dass wegen Pfusch am Bau (im polnischen Rundfunk umschrieben mit „Baukatastrophe”) eine 80-stündige Staatstrauer verhängt wird?

Sie gilt ab jetzt. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, warum ausgerechnet ab „jetzt“, zweiundzwanzig Stunden und fünfundvierzig Minuten nachdem ein Hektar Dach aus elf Metern Höhe herunter gekracht ist. Geradewegs herunter. Auf Taubenzüchter, auf Taubenkäfige, auf Besucher der internationalen Brieftaubenmesse. Die Staatstrauer gilt ab jetzt, das heißt ab heute 16 Uhr (MEZ), denn vor wenigen Minuten ist das Skispringen in Zakopane zu Ende gegangen.

Ich übe mich in geometrischem Denken. Ich untersuche die statische Ausrichtung der fiktionalen Räume in den drei „existenziellen“ Romanen von Tadeusz Konwicki. Vor wenigen Minuten erst habe ich das Gewicht eines einzelnen Wortes begriffen. Und verstanden, wie viel Sicherheit es gewährleisten kann.

Wo gibt es das, dass wegen Pfusch am Bau – offenbar menschgemacht und keineswegs gottgewollt - eine 80-stündige Staatstrauer verhängt wird, Druck ausgeübt wird, damit die Menschen auf die Knie fallen, die Hände falten, beten, Blut spenden, lamentieren, sich dem verordneten nationalen Martyrium unterwerfen?

Ich übe mich in geometrischem Denken. Im eben erschienenen neuen Roman von Magdalena Tulli („Skaza“ [Makel], 2006) kann man nachlesen, welche Konsequenzen Fehler in der Konstruktion nach sich ziehen. Die Gewöhnung an Schlamperei. An schräg genähte Nähte. Schief geschnittene Stoffteile. Ich habe immer gesagt, dass diese Autorin nicht eine düstere, weit hinter uns liegende Vergangenheit beschreibt – sondern das, was uns allen bevorsteht. Aber das will keiner hören. Noch lesen. Was nur normal ist.

Ich übe mich in geometrischem Denken.
 
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