krakau
19.1.06
  Pinguinleben 1
Heute kam aus Berlin Wolfgang angeflogen. Gestern Vormittag gab es in ganz Wola Justowska kein Wasser. An der Strasse des 28. Juli war ein Rohr geplatzt. Niemand weiß, warum unsere Strasse ein Tag ist. Warum unsere Strasse ein Datum hat. Datiert ist. Und warum gerade mit dem und keinem anderen. Monat. Und Tag. Ich weiß nicht einmal, welchem Jahr dieser achtundzwanzigste Juli gehört. Ab und zu erhalte ich einen Umschlag von Freunden, adressiert mit „Strasse des 28. Juli 1843“, frankiert mit „priorité“. Und komme nicht mehr aus dem Staunen heraus. Woher wissen die das. In den Unteren Beskiden. In welchem Jahrhundert meine Strasse steckt. Auf den Strassenschildern prangt ein besserer Jahrgang. Mit den Strassen verhält es sich wie mit dem Wein. Mit den Schildern wie mit den Etiketten.

Wolfgang ist gut gelaunt gelandet. Brachte Einkäufe aus dem chinesischen Supermarkt am Alexanderplatz mit. Thailändischen Duftreis. Teuflisch scharfe Sriratchasauce. Chilischoten. Sojasprossen. Sojasauce. Tofu. Und dann, am Abend, überkam ihn eine tiefe Traurigkeit. Er hat die Essstäbchen vergessen. Wir müssen mit Gabeln essen.

Ein halber Tag ohne Wasser. Die Hände wusch ich provisorisch im Schnee auf dem Dach. Nach kurzem Zögern auch das Gesicht. Noch selten fühlte ich mich so erfrischt. Eiseskälte auf der Stirn. Mein Gott, wie gut konnte ich arbeiten nach dem provisorischen Frühstück. Pani Dorota brachte uns eine Flasche Wasser aus der Villa. Und wir gossen es über Nescafé und Ginkoblätter. Ich beschloss, das Haus den ganzen Tag nicht zu verlassen.

Gut, dass Wolfgang erst heute landete. Obwohl mich Berlin kein bisschen interessiert. Weder Zeitungen, noch Briefe, noch Einladungen. Wintergäste. VG-Wort. Teilrevision Siedlung. Ortsplanung. Mitwirkungsverfahren bei der Bevölkerung. Die Liestaler sind übergeschnappt. Alles sorgsamst mitgebracht. Landet auf dem Stapel „zur Durchsicht“. Schwiegervater. Ja. Bereitet Stirnrunzeln. Und Herzschmerzen. Wer weiß, wo er ist. Mit seinen Händen. Die bauen. Immer noch bauen. Tragen. Und schleppen. Ich bin versunken in Krakauer Gedanken. Das Wasser fließt wieder. Zum Glück. Und die Jahrhundertkälte steht irgendwo draussen vor der Tür. Der Bus 192 riecht wie immer nach Dorf. Er ist nicht mehr so arg überfüllt. Befördert deutlich weniger Touristen. Den Stallgeruch wird er aber deswegen noch lange nicht los.
 
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