krakau
3.3.06
  Brief an die Schweiz
Ich arbeite hart. Der erhobene Zeigefinger von Herrn Konwicki ist überall. Kürzlich hörte ich in der Nacht Jan Machulski. Er erzählte in der Sendung „Aufzeichnungen aus der Gegenwart” (sehr zu empfehlen, im zweiten Programm, jeweils um 23.45 Uhr, oder am Nachmittag, wann genau weiß ich nicht, tagsüber schläft mein Krakauer Radio) von den Filmarbeiten zu „Der letzte Sommertag“. Ich hatte noch nie darüber nachgedacht – obwohl es die normalste Sache der Welt war: damals, im Jahr 1958, war die Ostsee eine natürliche Staatsgrenze. In Polen genauso wie beispielsweise in Stralsund, bzw. der ganzen Küste der damaligen DDR entlang. Und grenznahe Gebiete waren immer gut bewacht. In Polen genauso wie in der DDR. Man war auf der Hut, es hätte ja einer abhauen können, auf dem Rücken nach Bornholm schwimmen, oder in einem Fischkutter nach Kopenhagen paddeln. Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, wie dieser Film im Sand, direkt an der salzarmen Ostsee gedreht werden konnte. Jetzt weiß ich es. Und wundere mich über meine alpenländische Naivität. Einmal mehr.

Ich arbeite hart. Letzte Nacht gelang es mir, die fingierte Korrespondenz zwischen zwei email-Adressen aufzuschreiben. Endlich. Ein Auftragstext. Für eine seltsame Anthologie. In der Briefe vereint werden sollen von sogenannten Auslandschweizern. Also von solchen, die abgehauen sind. Auf dem Rücken schwimmend. Oder im Fischkutter frierend. In den Alpen sieht die Welt anders aus. Deren Briefe. An die Schweiz. Wurden gesucht. Ich hatte sofort abgewehrt. Dass ich an die Schweiz nie im Leben einen Brief schreibe. Dass ich keine Folklore formuliere. Dass ich kein einziges Wort der Sehnsucht kenne. Das auf mein Vaterland passt. Wie ein Hut auf den Kopf. Der Abgabetermin war längst verstrichen. Und ich spürte ein weiteres Schwert eines weiteren Damokles über meinem Kopf. Ich war müde. Aber nach den Aufzeichnungen aus der Gegenwart setzte ich mich hin und schrieb. Emails. An meine Freundin Frieda.

Ich arbeite hart. Wojtek schickte das erste Kapitel mit den Korrekturen zurück. Ich habe noch keinen Blick auf das Manuskript geworfen. So sehr fürchte ich mich. Kasper brachte mir aus Kwiatonowice die lektorierten „Postkarten”. Mein Gott, was tu ich hier bloß? Inmitten dieser Korrekturseitenberge. Wolfgang hat erst den ersten Koffer mitgenommen.

Ich arbeite hart. Bin unausgeschlafen. Und winterblass. Ich gehe in letzter Zeit fast gar nicht mehr aus dem Haus.
 
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