krakau
27.3.06
  Das Antonymwörterbuch
Das Wochenende verbrachte ich in Kwiatonowice. Verabschiedete mich von den Unteren Beskiden. Weißüberzuckert das schöne Land. Und von Magda und Kasper. Fleißig, wie immer. Vorläufig, versteht sich. Nichts blühte. Der April mit seinen Flunkerblumen ist noch weit. Wie der dünne Schnee auf den Nordhängen. Der Regen hört nun nicht mehr auf. Bis alles Weiß weggespült ist.

Kasper und ich arbeiteten. Überprüften den Index für das Antonymwörterbuch. Von „agogika” bis „quasi”. Mehr Buchstaben gab uns die Zeit nicht. Geizig, wie sie ist. Wir überprüften nicht die Wörter. Deshalb habe ich keine Ahnung, wie das Antonym von „agogika” ist, oder von „quasi”. Wir überprüften nur die hinter den Wörtern angegebenen Nummern. Die Zahlen der Seiten, auf denen das betreffende Wort auftaucht. Mein Hörverständnis Polnisch ist ausgezeichnet. Kasper las die Zahlen (insgesamt ungefähr 14 639), denn ihm kamen sie besser und eindeutig schneller von den Lippen, während ich auf Richtigkeit und Druck (gerade, fett, kursiv) achtete. Und das alles im Tempo eines japanischen Shinkansen. Wir rasten mindestens dreimal über die Inseln.

Der Buchstaben „ó” hatte nur zwei Einträge: „ów” und „ówczesny”. Am meisten Wörter gab es unter „n”. Alle Verneinungen von was auch immer fangen an mit „nie-“ und hockten sich sofort in meinem Nacken fest. Plötzlich saß mir die ganze polnische Sprache mit all ihren eigensinnigen Zahlen (175 sto siedemdziesiąt pięć, 313 trzysta trzynaście, 777 siedemset siedemdziesiąt siedem ...) im Nacken und versteifte meine Wirbelsäule bis zum Steißbein hinunter. Für immer und ewig setzten sich Wörter im Mark fest wie „prowodyr”. Oder „orli (nos)” – sic! Unter „ć” fanden sich auch nur drei Ausdrücke: „ćma“, „ćpać“ und „ćwierćinteligent“. Ich frage mich, wie das Antonym von „ćwierćinteligent” (der Viertelintelligenzler) lauten könnte. Halbintelligenzler oder Achtelintelligenzler? Leider weiß ich gar nichts von Fußnoten oder Verweisen. In diesem Wörterbuch.

Am Abend erfreute Magda meinen ganz versteiften Rücken und meine ganz versteifte Seitenzahlenseele mit dem Zitat des Tages: „Jesteśmy żadnym społeczeństwem. Jesteśmy wielkim sztandarem narodowym.” [Wir sind keine Gesellschaft. Wir sind eine große Nationalfahne] (Cyprian Norwid in einem Brief an Michalina Zaleska, aus dem Hause der Dziekońskis, vom 14. November 1862). Leichter verdaulich ist die volkstümliche Zitierweise: „Die Polen sind ein wunderbares Volk, aber eine absolut wertlose Gesellschaft.”

Ach, wie herrlich sind doch Antonyme.
 
Comments: Kommentar veröffentlichen

<< Home

ARCHIVES
Oktober 2005 / November 2005 / Dezember 2005 / Januar 2006 / Februar 2006 / März 2006 /


Powered by Blogger