krakau
23.3.06
  Der dritte Tag, wie bei der Schneiderin
Gestern kam Wolfgang. Heute hörte es auf zu schneien. Aber der thermische Frühling ist noch immer nicht da.

Wir fuhren an die Priester-Turek-Strasse. Zur dritten Anprobe. Bei meiner Schneiderin. Sie näht mir vier oder fünf Teile. Zum Anziehen. Ein Kleid. Einen Rock. Ein Oberteil. Ich weiß nicht, was noch. Andauernd kommen mir Wörter abhanden. Aus einem Stoffrest soll nun noch ein Schal genäht werden. Andauernd muss etwas anprobiert werden. Die rechte Seite liegt gut. Die linke schlecht. Seltsam, dass meine Brüste so ungleich sind. Die Zeit nimmt ab. Wie der Vorrat an Naturseide. Bei Konwicki las ich eine Anekdote über den Schneider von Władysław Gomułka. Die Zensur strich ihm damals die Preise. Den einen Preis (den nationalen, in polnischer Währung) sowie den anderen Preis (den internationalen, in der Währung der Geschwätzigkeit, die überall auf der Welt für Nachlass sorgt).

Ich zitiere die zensierte Version: „Die Anzüge ließ sich Gomułka von einem gewissen Schneider anfertigen, der für seine Arbeit 700 zł verlangte, obwohl andere in seinem Atelier mehr bezahlen mussten.” (Kalendarz i klepsydra, Ausgabe 1982)

Ein ordentlicher Satz. Makellos. Wie die Schweizer Küche.

Und hier die unzensierte Version: „Die Anzüge ließ sich Gomułka von einem gewissen Schneider anfertigen, der für seine Arbeit 700 zł verlangte, obwohl andere in seinem Atelier ohne Widerrede 2400 zl bezahlen mussten.” (Kalendarz i klepsydra, Ausgabe 2005)

Ein Satz mit Schuss. Und konkreten Zahlen. Wie die georgische Küche.

So wurde das damals zugeschnitten. Heute gibt es scharf geschliffene Schneiderinnenscheren. Und eine Strasse, die nach Priester Wincenty Turek benannt ist.
 
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